Chemienobelpreis 1934: Harold Clayton Urey

Chemienobelpreis 1934: Harold Clayton Urey
Chemienobelpreis 1934: Harold Clayton Urey
 
Der amerikanische Chemiker erhielt den Nobelpreis für die Entdeckung des schweren Wasserstoffs (Deuterium).
 
 
Harold Clayton Urey, * Walkerton (Indiana) 29. 4. 1893, ✝ La Jolla (Kalifornien) 5. 1. 1981; ab 1929 Professor an der Columbia University (New York), ab 1941 Mitarbeit am Manhattan-Projekt zur Entwicklung der ersten Atombombe, ab 1945 am Institut für Kernforschung der Universität in Chicago, ab 1958 an der Universität von Kalifornien in La Jolla, in den 1960er-Jahren Beteiligung am US-Raumfahrtprogramm.
 
 Würdigung der preisgekrönten Leistung
 
Wenn eine neue Substanz nachgewiesen wird, möchten Wissenschaftler auch Experimente durchführen, um zu überprüfen, ob die Voraussagen der Theorie auch in der Praxis zutreffen. Abweichungen von den theoretischen Prognosen widerlegen meist eine Theorie nicht, sondern verbessern sie.
 
 Was sind Isotope?
 
Harold Urey stand Anfang der 1930er-Jahre vor genau dieser Situation, als er an der Columbia University von New York versuchte, schweres Wasser herzustellen. Während normales Wasser ein Molekül aus zwei Wasserstoffatomen und einem Sauerstoffatom besitzt, besteht schweres Wasser aus zwei Deuteriumatomen und einem Sauerstoffatom. Deuterium und Wasserstoff wiederum sind in den Augen von Chemikern zwar das gleiche Element, weil ihre Atome jeweils ein Proton enthalten, das die chemischen Eigenschaften bestimmt; doch während der Atomkern von Wasserstoff nur aus diesem einen, elektrisch positiv geladenen Proton besteht, enthält ein Deuteriumkern zusätzlich ein elektrisch neutrales Neutron. Dieses beeinflusst zwar die chemischen Eigenschaften nicht, verdoppelt aber ungefähr das Gewicht des Atoms. Aufgrund dieses Gewichtsunterschieds haben Deuterium und Wasserstoff deutlich verschiedene physikalische Eigenschaften. Solche Atome mit einer unterschiedlichen Zahl von Neutronen, aber gleicher Zahl von Protonen, nannte der Brite Frederick Soddy (Nobelpreis 1921) »Isotope«. Sein Landsmann Francis Aston (1922) hatte längst nachgewiesen, dass viele Elemente aus verschiedenen Isotopen bestehen. Aber keiner zuvor hatte reine Isotope eines aus verschiedenen Isotopen bestehenden Elements isolieren und auf ihre Eigenschaften untersuchen können.
 
Am einfachsten sollte die Isolierung eines Isotops beim Wasserstoff gelingen, da die Masse eines Deuteriumkerns um rund 100 Prozent größer als die Masse eines Wasserstoffkerns ist. Ganz anders dagegen die Situation beim Blei, von dem ebenfalls mehrere dauerhaft stabile Isotope existieren. Jedes von ihnen besitzt 82 Protonen. In der Natur bestehen 22,1 Prozent des Bleis aus dem Bleiisotop Pb 207. Es enthält zusätzlich zu den 82 Protonen noch 125 ungefähr gleich schwere Neutronen im Kern. 52,4 Prozent des in der Natur vorkommenden Bleis besteht dagegen aus Pb 208, das 126 Neutronen enthält. Genau wie Wasserstoff und Deuterium unterscheiden sich demnach auch Pb 207 und Pb 208 in nur einem zusätzlichen Neutron. Während beim Wasserstoff dieses Neutron das Atomgewicht aber verdoppelt, liegt es bei Pb 208 nur o,5 Prozent über dem von Pb 207. Dieser geringe Unterschied verursacht auch nur geringe Abweichungen in den physikalischen Eigenschaften.
 
Viel stärker unterscheiden sich Wasserstoff und Deuterium. Während das Wasserstoffatom mit der Atommasse 1 bei etwa -253 °C siedet, liegt der Siedepunkt von Deuterium bei -250 °C. Mithilfe einer Destillation sollten sich die beiden Isotope demnach voneinander trennen lassen.
 
Beim Bureau of Standards in Washington stellte man Urey eine Apparatur zur Verfügung, die bei derart tiefen Temperaturen destillieren konnte. Ihm gelang es nicht, reines Deuterium zu isolieren, doch kam er zu folgenden Erkenntnissen: Während der leichte Wasserstoff relativ rasch aus dem Destillationskolben heraussiedet, reichert sich gleichzeitig Deuterium im Kolben an. Durchstrahlt man diesen Rückstand mit Licht, regt dies die Atome an, ihrerseits Licht auszusenden. Dabei strahlt das Deuterium Licht anderer Wellenlänge als der leichte Wasserstoff aus. Im Vergleich mit dem normalen Wasserstoffgemisch leuchten diese »Deuteriumlinien« im Rückstand erheblich stärker. Damit hatte Urey nicht nur nachgewiesen, dass sich Deuterium tatsächlich im Rückstand anreichert, sondern konnte aus dem Unterschied der Linien ausrechnen, wie viel Deuterium normaler Wasserstoff enthält. Ein Atom Deuterium kommt demnach auf 5000 leichte Wasserstoffatome. Exakte Analysen zeigten später, dass Deuterium sogar seltener ist, nur 0,015 Prozent aller Atome im normalen Wasserstoff sind Deuteriumatome.
 
 Die Herstellung von schwerem Wasser
 
Einfacher als im Wasserstoff sollte sich Deuterium in Wasser anreichern lassen. Denn auch beim Wasser gibt es erhebliche physikalische Unterschiede zwischen leichtem Wasser mit zwei Wasserstoffatomen und schwerem Wasser mit zwei Deuteriumatomen. Die Dichte von schwerem Wasser liegt zehn Prozent höher, der Siedepunkt ist erst bei 101,42 °C erreicht und es gefriert bereits bei 3,72 °C.
 
Aufgrund der starken Unterschiede zwischen Deuterium und Wasserstoff unterscheiden sich auch die Bindungsenergien zum Sauerstoff. Diese Eigenschaft nutzte Harold Urey, um schweres Wasser herzustellen: Er schickte einen elektrischen Strom durch eine Salzlösung. Am negativen Pol bildete sich daraufhin Wasserstoff aus Wasser. Wegen der geringeren Bindungsenergie entstand dabei erheblich mehr leichter Wasserstoff als Deuterium. Daher reichert sich in der Lösung schweres Wasser an. Schweres Wasser wird noch heute nach dem gleichen Prinzip hergestellt und dient in Kernreaktoren zum Beispiel als Mittel, um die Kernreaktion direkt zu beeinflussen.
 
Das von Urey angereicherte Deuterium spielt eine wichtige Rolle bei der Funktion der Wasserstoffbombe. Während des Zweiten Weltkriegs war er an der Entwicklung der ersten Atombombe beteiligt, wandelte sich jedoch später zum Kritiker der militärischen Nutzung der Kernenergie. In dieser Hinsicht habe er die Konsequenzen seiner Forschungen unterschätzt, bedauerte er 1972 in einem Interview. Auch der friedlichen Kernenergienutzung stand der Forscher später kritisch gegenüber. Hier könnte Deuterium eine zentrale Rolle spielen, wenn es in ferner Zukunft gelingt, die beim Verschmelzen von Deuterium zu Helium frei werdende Energie in Fusionsreaktoren zu nutzen.
 
In seinen späteren Arbeiten beschäftigte sich Urey mit Fragen der Herkunft der Planeten und der Beschaffenheit der Uratmosphäre auf der Erde. Auch die Verteilung von Elementen und Isotopen im Weltall interessierte den »Vater der Kosmochemie«. Viele seiner Annahmen über Alter und Beschaffenheit des Monds fanden Wissenschaftler nach der Mondlandung im Jahr 1969 bestätigt.
 
R. Knauer, K. Viering

Universal-Lexikon. 2012.

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